Fliegt Staatssekretärin, weil sie verriet, was ihr Bildungsminister über Corona wirklich denkt?

15. Dezember 2021

ERFURT. Von "Die Schulen sind keine Treiber der Pandemie" bis hin zu "Schulen wirken als Hygienefilter": Kultusminister beschallen die Öffentlichkeit seit Pandemiebeginn mit zumindest fragwürdigen Aussagen, die wenig Problembewusstsein erkennen lassen. Und sie entscheiden allzu häufig auch entsprechend. Vom Twitter-Account des Thüringer Bildungsministeriums waren am Wochenende Tweets abgesetzt worden, die nahelegen, dass Corona und die Folgen dort nicht wirklich ernst genommen werden. Das hat nun personelle Konsequenzen - allerdings betreffen die nicht den Minister selbst. Muss gehen: Bildungsstaatssekretärin Julia Heesen.
Foto: Barbara Neumann/TMBJS

Nach umstrittenen Tweets zur Corona-Strategie für Thüringer Schulen verliert die Juristin Julia Heesen (Linke) ihren Posten als Bildungsstaatssekretärin. Er habe die Entscheidung getroffen, Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) zu bitten, Heesen zu entlassen, erklärte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) am Mittwoch in Erfurt. Hintergrund sind Posts bei Twitter, die am Wochenende vom Account des Bildungsministeriums veröffentlicht und anschließend breit und scharf kritisiert wurden. Das Ministerium hatte die aus seiner Sicht zehn wichtigsten Gründe gepostet, warum "wir die Schulen mit hoher Priorität offenhalten und die Ferien nicht verschieben".

Als Grund eins hatte das Ministerium beispielsweise angegeben: "Wir haben Kindern und Jugendlichen versprochen, dass sie nicht wieder in den Lockdown müssen." Zudem stelle man - Grund drei - sicher, dass Schüler im Freistaat bis kurz vor Weihnachten verlässlich auf eine mögliche Corona-Infektion getestet würden. "Wer Schulen schließt, verlagert die Verantwortung für das Testen in die Familien." Als Grund acht nannte das Ministerium: "Wir behandeln Kinder und Jugendliche nicht schlechter als Erwachsene." Sie würden noch seltener schwer an Covid-19 erkranken als geimpfte oder genesene Erwachsene. Es sei deshalb "ungerecht", alle Schüler nach Hause zu schicken.

Im Zusammenhang mit der Aufzählung hatte das Ministerium die möglichen langfristig wirkenden Effekte einer Covid-19-Erkrankung auf Schüler relativiert: "Ob Kinder Long-Covid entwickeln, ist nicht geklärt", schrieb das Ministerium. Vor allem dieser Satz brachte dem Ministerium scharfen Widerspruch ein. Das entschuldigte sich zwar später und löschte den Tweet, "weil er nicht korrekte Aussagen zu Long-Covid enthielt", wie es in einem späteren Tweet des Ministeriums heißt. Allerdings konnte ein weiterer Tweet so ausgelegt werden, dass Kinder zu Hause Gewalt erfahren würden, weshalb sie - so die Argumentation - in der Schule sicherer seien. Viele Nutzer reagierten empört oder mit Unverständnis, teils wurde dem Ministerium vorgeworfen, Unwahrheiten zu verbreiten.

Natürlich erlebtn nicht jedes Kind zu Hause Gewalt! Wir tragen aber für diese Kinder eine besondere Verantwortung. Zahlen für 2021 sind noch nicht da, aber 2020 hatten wir in Thüringen leider so viele Kindeswohlgefährdungen wie nie zuvor. https://t.co/GsPAMhS19H (PM 182/2021)
- TMBJS (@BildungTH) December 12, 2021

Holter erklärte, ihm sei wichtig, "dass öffentliche Kommunikation von Seiten meines Ministeriums in Botschaft und Stil mit der erforderlichen inhaltlichen Klarheit und auch notwendigen Zurückhaltung geführt wird". Dies sei bei der Kommunikation am Wochenende nicht im gewünschten Maße der Fall gewesen. "Die betreffenden Tweets wurden durch Staatssekretärin Dr. Heesen verantwortet", so Holter.

"Ob Kinder Long-Covid entwickeln, ist nicht geklärt"

Zuvor hatte auch der SPD-Bildungspolitiker Thomas Hartung, der selbst Mediziner ist, die Tweets scharf kritisiert. Aus seiner Sicht sind sie ein Ausweis dafür, dass man im Bildungsministerium aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu Covid-19 nicht ernst nimmt. Holter setze alles daran, die Schulen im Land offen zu halten und lasse dabei jeden Versuch vermissen, Corona-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern, sagte Hartung. Holter und seine Staatssekretärin Julia Heesen ließen sich von einem Wissensstand zur Gefährlichkeit des Virus für junge Menschen leiten, der inzwischen veraltet sei. "Das, was die regelmäßig sagen und schreiben, ist einfach nicht mehr aktuell", sagte Hartung.

Tatsächlich gilt es mittlerweile als gesichert, dass Kinder an Long Covid erkranken können. Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte unlängst mit Blick auf eine neuere Untersuchung getwittert: "Diese große Studie der Uni Dresden in Kooperation mit RKI und Krankenkassen zeigt, dass Kinder so viel LongCovid in Deutschland erlitten wie Erwachsene. Der Satz: Kinder werden bei Covid nicht ernsthaft krank, entspricht nicht den Studien." Der Journalist und Mediziner Eckart von Hirschhausen veröffentlichte unlängst eine Reportage, die sich mit Long Covid (auch) bei Kindern beschäftigt - hier, im Archiv der ARD, ist der Film zu sehen.

"Verantwortlich für das Thüringer Schul-Chaos sind der Ministerpräsident und sein Minister"

Der Opposition im Thüringer Landtag reicht der Rauswurf Heesens allerdings nicht. "Am besten wird im Ministerium komplett aufgeräumt", twitterte der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt. Das habe in der Pandemiebekämpfung völlig versagt. Schüler, Eltern und Lehrer müssten dies ausbaden. Der CDU-Bildungspolitiker Christian Tischner sagte, Heesen sei nur ein Bauernopfer. "Verantwortlich für das Thüringer Schul-Chaos sind der Ministerpräsident und sein Minister."

Heesen soll in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Um diesen Schritt auch formal zu vollziehen, ist die Zustimmung der Landesregierung nötig. Ein Regierungssprecher sagte, dass dafür spätestens am Donnerstag eine Sonderkabinettssitzung geplant sei. Die Abstimmungen liefen aber noch.

10 Gründe für einen stabilen Schulbetrieb
Grund 10:
Wir halten uns an das Infektionsschutzgesetz.
Denn Paragraph 28a Absatz 7 IfSG verbietet den Ländern die Schließung aller "Gemeinschaftseinrichtungen nach Paragraph 33", zu denen Schulen und Kindergärten gehören.
- TMBJS (@BildungTH) December 11, 2021

Seit Monaten gibt es nicht nur aus den Reihen der Opposition, sondern auch aus den Reihen von Rot-Rot-Grün Kritik daran, wie das Bildungsministerium Thüringens Schulen durch die Corona-Pandemie navigiert. Hierbei hatte sogar die Linke-Fraktion teils einen anderen Standpunkt vertreten als das von dem Linke-Politiker geführten Ministerium. So hatte es eine heftige, wochenlange Debatte um die Maskenpflicht und die Tests an den Schulen gegeben. Beides hatte die Landesregierung ausgesetzt - die Infektionszahlen explodierten daraufhin im Freistaat. Holter seinerzeit dazu: "Kinder und Jugendliche sind nicht diejenigen, die besonders gefährdet sind, sie gehören nicht zu den vulnerablen Gruppen."

So viel anders als der von Heesen zu verantwortende Tweet klingt das allerdings nicht. News4teachers / mit Material der dpa


Quelle: news4teachers